Unerhört vielseitig
Im Umgang mit Schwerhörigen sollten Sie vor allem darauf achten, dass Sie Blickkontakt zum Gesprächspartner halten. So hat der betroffene Bewohner - neben dem, was er auf der auditiven Ebene noch empfangen kann - die Möglichkeit, vom Gesprächspartner das Geäußerte visuell durch Ablesen von den Lippen zu überprüfen beziehungsweise zu ergänzen.
Bedenken Sie hierbei, wie schwer Mundablesen ist. Dinge aufzuschreiben, ist eine gute Möglichkeit, zu kommunizieren. Beachten Sie hierbei, dass Senioren meist auch Probleme beim Sehen haben. Im Caritas Pflege- und Taubblindenheim Herbert Nellessen verwenden wir dicke, schwarze Filzstifte und schreiben große Druckbuchstaben. Sprechen Sie langsam, deutlich, mit Geduld und ruhiger, tiefer Stimme sowie im gleichmäßigen Tempo. Vermeiden Sie Nebengeräusche. Also erst sprechen, wenn alles ruhig ist.
Hörschäden sind unsichtbar und daher für Hörende schwer vorstellbar. Die Auswirkungen der Schwerhörigkeit im täglichen Leben und im Beruf sind vor allem stark abhängig vom Lebensalter und Eintritt der Hörminderung. Frühschwerhörige sind es gewohnt, schlecht zu hören. Sie haben meistens nur geringe Probleme, die Behinderung anzunehmen und Kommunikationsprobleme zu bewältigen. Bei fortschreitender Schwerhörigkeit bis zur Ertaubung verändert sich oft die Persönlichkeit und das Selbstwertgefühl. Sprechen Sie in ruhiger Umgebung in kurzen, einfachen Sätzen. Unterstützen Sie das Gesagte mit natürlicher Mimik und Gestik. Achten Sie zudem auf gutes Licht, saubere Sehhilfen und richtig eingestellte Hörhilfen.
Bedürfnisse von Gehörlosen verstehen
Gehörlose verstehen sich nicht als eine Behindertengruppe, sondern als eine Sprach- und Kulturgemeinschaft. Sie suchen den Kontakt zu Gleichgesinnten, die ebenfalls gebärdensprachlich kommunizieren und die über ähnliche biografische Erfahrungen verfügen, wie sie selbst. Die Gebärdensprache ist ihre Muttersprache. Sie betrachten die Hörbehinderung als Teil des Lebens und nicht als Mangel. Häufig kommt es zur Diagnose Demenz, obwohl nur eine Hörschädigung vorliegt. Jede Form von Beeinträchtigung der Sinne verstärkt die Symptome von Demenz. Wir veranlassen daher für jeden Bewohner regelmäßig einen Termin beim Hals-Nasen-Ohrenarzt oder beim Akustiker, um die Hörfähigkeit und den Hörstatus einzuschätzen. Ich habe zudem einen Schulungsplan entwickelt, um die Sensibilität der Mitarbeiter in Bezug auf Schwerhörigkeit oder Ertaubung und die Folgen zu fördern.
Geeignete Betreuungsangebote kreieren
Unser Ziel ist es, durch die Begleitung in der Tagesgruppe die Bewohner miteinander in Beziehung zu bringen. Gerade in der Integrationsphase haben wir besonders die Beziehungen im Blick. Es ist für unsere Bewohner sehr schwer, ein neues soziales Leben in der Gemeinschaft aufzubauen. Dies braucht Begleitung. Die Entwicklung ist ein langsamer Prozess. Erst nach langer Zeit ergeben sich Verbindlichkeiten, Toleranz und Verantwortung gegenüber anderen Bewohnern. Es ist wichtig, Abwechslung in die Tagesstruktur zu geben. Gehörlose und Ertaubte müssen zeitweise in ihrer Kultur unter Gleichgesinnten verweilen können, sie sollten aber auch in allgemeine Angebote im Wohnbereich integriert werden.
Wir arbeiten nach den psychobiografischen Modell nach Erwin Böhm. Dieser Ansatz führte dazu, dass die jeweilige Biografie, aber auch die historischen Lebensumstände berücksichtigt werden. Wir beschäftigen uns mit der Lebensgeschichte des älteren Menschen, um sein Verhalten und sein Erleben zu verstehen. Die Biografie dient dazu, die Bewohner kennenzulernen, besser auf ihre Bedürfnisse eingehen zu können und individuelle Betreuung zu planen. Wir wertschätzen die unterschiedlichen Kompetenzen unserer Bewohner und nutzen diese.
Besser: in Gruppen unter sich zu bleiben
Gruppenangebote sind für hörgeschädigte Menschen grundsätzlich schwierige Kommunikationssituationen, da sie nicht verstehen können, wenn mehrere Menschen gleichzeitig sprechen. Hierbei ist der Hörbehindere zwar anwesend, aber nicht einbezogen. Daher bieten wir für Gehörlose gemütliche Runden und Gesellschaftsspiele nur unter Gleichgesinnten an. Weitere Angebote für Gehörlose sind Domino, Memory, Mensch-ärgere-dich-nicht oder Kartenspiele. Wir haben eine große Auswahl an Gesellschaftsspielen, die wir für alle Gehörlose und Schwerhörige einsetzen können. Spielregeln können individuell verändert werden. Zu unseren speziellen Angeboten für Gehörlose gehören die Teilnahmen an Gruppentreffen in Fulda und am Gehörlosengottesdienst, Orientierungsangebote, Fernsehprogramm mit Untertitel sowie Vermittlung von Nachrichten in leichter Sprache. Zudem haben wir die Gehörlosenzeitschrift Ephata des Verbandes der katholischen Gehörlosen Deutschlands (VKGD) abonniert. Schwerpunkte dieser Zeitschrift ist das Leben Gehörloser. Um den Gemeinschaftssinn und den Zusammenhalt zu fördern, haben sich - neben Gymnastik und Bewegungsangeboten - Tanzen und Kegeln bewährt. Dabei legen wir den Fokus immer auf die Bewegung, weniger auf Kommunikation.
Erleben und Wahrnehmung stärken
Durch das Nachlassen von einem oder mehreren Sinnen sind Menschen in ihrer Wahrnehmung eingeschränkt. Umso wichtiger ist es, möglichst viele Sinneskanäle anzusprechen und somit das Erleben zu intensivieren, erfahrbar und begreifbar zu machen. Zum Beispiel ist ein Ausflug auf die Wasserkuppe, den höchsten Berg in Hessen in der Rhön, über unterschiedliche Sinneskanäle zu erfahren. Auf dem Berg der Flieger mit Flugschule können unsere Bewohner die Flieger sehen und anfassen, das Kerosin riechen und bei Bedarf auch fliegen. Um die Wahrnehmung zu unterstützen und zu erhalten, achten wir darauf, dass die verbleibenden Sinne aktiviert werden, etwa in der Gartengruppe: Die Bewohner können die Pflanzen fühlen, riechen und Kräuter, Obst und Gemüse ernten und schmecken. Im Sommer nutzen wir unser Hochbeet draußen. Im Winter haben wir einen fahrbaren Garten. Die Wahrnehmung ermöglicht es, Informationen über die Sinne aufzunehmen und sich zu orientieren. Damit sich die Wahrnehmungsfähigkeit nicht reduziert, gleich einem Muskel, der nicht trainiert wird, achten wir darauf, dass die verbliebenen Sinne aktiviert werden.
Dazu bieten wir in Einzelangeboten an: Gespräche (Kommunikationsförderung), Wahrnehmung des Körpers / basale Stimulation über Massage und Aromapflege, Fotos anschauen, Einkaufen, Arzt- und Friedhofbesuche, Ressourcenaktivierung und Förderung der Mobilität zum Beispiel bei Spaziergängen sowie liebevolle Zuwendung. In der Gesprächsförderung bei an Demenz erkrankten Schwerhörigen oder Gehörlosen nutzen wir Bildkarten. Auf der einen Seite dieser Karte ist etwa eine Banane abgebildet. Bei Schwerhörigen ist auf der anderen Seite das Wort aufgeschrieben und bei den Gehörlosen die Gebärde für Banane dargestellt. Die Karten fertigen wir je nach Bedarf an.
Was Mitarbeiter können sollten
Wichtig ist, dass sich Betreuende in die zu betreuende Person einfühlen können und sich auf deren Kommunikationsmöglichkeiten einstellen und antworten. Zum Handwerkszeug für eine gelungene Kommunikation gehören Empathie, Echtheit, die Bewohner einzubeziehen, emotionale Wärme auszustrahlen und die Bewohner ernst zu nehmen. Wer dies beherzigt, dem gelingt auch die Kommunikation. Weiterhin empfehle ich, Kurse in lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) zu belegen. Wir sensibilisieren neue Kollegen schon in der Einarbeitungsphase im Umgang mit Sinnesbehinderten. Jeder erhält im Rahmen der Einarbeitung eine Schulung. Weiterhin führen wir diese Schulungen im Umgang mit Hörbehinderten und Sinnesbehinderten regelmäßig für alle Mitarbeiter einmal jährlich als Pflegeschulung zur Auffrischung und zur Selbsterfahrung durch.
Marina Göbel, Heim- und Pflegedienstleiterin,
Caritas Wohnpflegeheim St. Lucia Fulda
St.-Vinzenz-Straße 52a
36041 Fulda
www.st-lucia-fulda.de